Griechisch lebt -

in literarischen Motiven

 

"Der Lotse geht von Bord".

Diese Karikatur aus der englischen Zeitschrift "Punch" vom 29.3.1890 über den Rücktritt von Reichskanzler Bismarck kennt wohl ab der 9. Klasse ein jeder. Der alte erfahrene Lotse, der vorher noch als Steuermann am Ruder des "Staatsschiffes" stand, verläßt nun dieses Schiff.

Dieses Bild vom "Staatsschiff" ist allerdings nicht erst vor guten 100 Jahren entstanden, sondern es reicht weit in die Geschichte zurück.

Zum ersten Mal taucht es in der griechischen Literatur wohl in einem Gedicht von Alkaios aus Mytilene (auf der Insel Lesbos) um das Jahr 600 v. Chr. auf. In seiner Heimatstadt entstanden nach dem Sturz des Königtums schwere innere Kämpfe unter den Adelsgeschlechtern, die um die Vorherrschaft bzw. um die Tyrannis stritten. Alkaios war mitten drinnen in diesen Auseinandersetzungen und mußte mehrere Male seine Heimat verlassen. Durch diesen Bürgerkrieg drohte die Polis gänzlich zugrunde gerichtet zu werden.

In einem seiner Gedichte, das leider nur noch fragmentarisch erhalten ist, beschreibt er die Situation folgendermaßen:

"Das Staatsschiff in Seenot

 

Den Streit der Winde kann ich verstehen kaum.

Die eine Woge wälzt sich von dort heran,

die andere von hier; wir aber

treiben dahin auf dem düstren Schiffe,

 

in hartem Kampfe gegen den wilden Sturm.

Die Flut umspült den Köcher des Mastbaums schon,

zerrissen ist das große Segel,

ungestüm flattern noch seine Fetzen.

 

Die Ankertaue lassen - - - - - - - - - - - - - - - - - -

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geopfert ward die ganze Ladung,

fürchterlich schaukelt das leichte Fahrzeug.

 

Und brechen Wogen über das Schiff herein,

so droht es aufzugeben das Ringen mit

den Fluten und dem wilden Sturme und,

an den Klippen zerschellt, zu sinken.

In solchem bösen Unwetter treibt es fort.

Vergiß die Schrecken, Lieber, - - - - - - - - - - - -

Mit euch und in Gesellschaft auch des

Bakchos erfreu dich - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

 

Die Woge rollt, den früheren gleich an Wucht,

heran. Sie zwingt uns härteste Arbeit auf,

das Schöpfen, schlug sie in den Schiffsraum,

lockert die Planken in jähem Aufprall.

 

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Laßt uns das Leck aufs schnellste dichten,

dann in den bergenden Hafen laufen.

 

Aus unsern Reihen zaudere niemand mehr

vor Furcht. Gewiß: Hart müssen wir kämpfen jetzt.

Erinnert euch, was wir geleistet!

Heute bewähre sich ruhmvoll jeder.

 

Entehren wir die tüchtigen Eltern nicht

durch Feigheit, die schon drunten im Totenreich

verweilen - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

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Nie wollen wir die Herrschaft eines

einzelnen dulden - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - "

Deutsch: Griechische Lyrik, hrg. von Dietrich Ebener, S. 99f.

Griechisch: Die griechische Literatur in Text und Darstellung. Archaische Periode, hrg. von J. Latacz, S. 378-380.

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